Im diskursiven Rauschen um Sexismus und Missbrauch geben sich viele Männer überrascht – oder missverstanden. Nehmt dieses Unbehagen an, denn es geht ausnahmsweise nicht darum, wie wir uns fühlen, schreibt unser Autor Matthias Kreienbrink.
Habt ihr nie zugehört?
#metoo heißt der Hashtag, der viele Männer nun zu der Frage bewegt: „Ich auch?“ Denn wenn so viele Frauen von sexueller Belästigung und Übergriffen berichten, müssen Männer anerkennen: „Vielleicht habe ich auch schon Grenzen überschritten, und ganz sicher kenne ich Männer, die so etwas getan haben.“ Reflexhaft wird die Verunsicherung nun in einen Angriff auf die eigene Freiheit übersetzt, einige Männer meinen nun gar nicht mehr zu wissen, was sie „jetzt noch dürfen.“ Haben Angst davor, Komplimente zu machen – ohne sich zu fragen, ob sie da wirklich komplimentieren und nicht kompromittieren. Denn ist es tatsächlich ein Kompliment, wenn die Person, der es gemacht wurde, sich unwohl fühlt, ja sogar bedrängt?
Andere Männer zeigen sich überrascht. Überrascht davon, dass es so viele Frauen betrifft. Sagen, dass sie das Ausmaß nicht ahnen konnten. Sie schreiben Kommentare, Tweets, Artikel mit Aussagen wie: „Muss man sich als Mann den Schuh anziehen?“, „Not all men!“, „Du auch? Ich hätte nie gedacht, dass es so viele Frauen in meinem Umfeld getroffen hat.“
Ich schreibe auch. Und ich frage: Habt ihr eigentlich nie zugehört?
Ich bin nicht überrascht
Mich hat #metoo nicht überrascht. Entsetzt, ja. Überrascht aber nicht. Denn ich habe hingehört. Ich kenne den Missbrauch schon lange, den einige meiner Freundinnen erlebt haben. Auf der Arbeit, während einer Reise, in der U-Bahn, im Club. Sie haben mir davon erzählt. Nicht weil ich fragte, sondern weil ich – so hoffe ich – zuhörte. Weil ich nicht kommentierte, nicht relativierte, nicht abtat. Weil ich verstand, was da gesagt wurde – manchmal auch nur in den Zwischentönen.
Vielleicht lag es auch daran, dass diese Frauen wussten, dass bei mir kein sexuelles Begehren der Motivationstreiber ist, wenn wir uns unterhalten. Das Klischee mag stimmen, dass der queere beste Freund diese als weiblich markierte Rolle des Zuhörers übernimmt. Doch sollten wir uns dann nicht alle fragen: Wieso muss eine Frau bei beinahe jedem anderen Mann ein sexuelles Begehren vermuten? Nicht der queere beste Freund ist das Problem, sondern die Gesellschaft in der er gebraucht wird.
Die geschützten Räume
In einem früheren Leben – so fühlt es sich jedenfalls an – habe ich als Koch gearbeitet. Gerade in kleineren Orten fühlt sich diese Arbeit oft wie eine selbsterfüllende Prophezeiung an. Es ist ein „Männerjob“. Und in „Männerjobs“ gehört der Sexismus dazu, so die Prophezeiung. Frauen existieren dort oft nur diskursiv. In den Sprüchen, in der Sprache, in der die Übergriffe schon vollzogen sind. Ich hörte viele dieser Gespräche, in denen die Körper von Frauen missachtet wurden, wenn sie nicht gefielen, und schon Besitz waren, wenn sie gefielen.
Damals fand ich den Mut nicht, diese geschützten Männerräume zu sprengen. Damals wusste ich genauso wie heute: Da wo Sexismus und Misogynie vorherrschen, da lebt auch die Homophobie hervorragend. Also schwieg ich. Und schärfte mein Gehör für diese Sprache, die unterdrücken will.
Heute weiß ich, wie einfach es sein kann, diese als geschützt geglaubten Räume zu sprengen. Denn diese Orte, an denen Männer sich allen anderen überlegen fühlen, existieren noch. Die Sprache ist noch da. Heute erlebe ich sie weniger explizit, denn jetzt arbeite ich nicht mehr in einem „Männerjob“. Und dennoch stolpere ich immer wieder in diese Räume. Oder ich höre von anderen, die sie jeden Tag erleben müssen.
An Arbeitsplätzen, in Fitnessstudios, auf Fachmessen, auf Weihnachtsfeiern. Schnell bilden sich diese Räume, in denen Männer dann mal – man ist ja unter sich – frei heraus reden. Da kann dann auch schon mal unter Kollegen besprochen werden, dass die Kollegin früher noch viel besser aussah. Oder der Chef schlägt dann vor, dass der Kollege sich jetzt nicht so haben und eine Kollegin abschleppen solle – sei doch schließlich Alkohol geflossen.
Nichts in diesen Räumen ist so disruptiv wie ein Mann, der zuhört. Einer, der auch schon vorher zugehört hat. Der weiß, dass diese Diskurse Grundlage des Missbrauchs sind. Dass Missbrauch sehr oft Machtmissbrauch ist. So ein zuhörender Mann muss nicht unbedingt laut werden. Er muss nicht wortreich seinen Mit-Männern sagen, was sie da gerade eigentlich tun. Vielmehr kann er sie fragen: „Was macht ihr hier eigentlich?“ Er kann mit einem Blick, einem Kopfschütteln, schon einem Wort deutlich zeigen, dass er zugehört hat. Ich war dieser Mann schon. Vielleicht dann, wenn die anderen kurz vergaßen, dass ich doch nicht so ganz zu ihnen gehöre – weil ich Frauen nicht sexuell begehre. Vielleicht aber auch, weil sie es nicht wussten. Die Reaktion jedenfalls war sehr oft: Unbehagen. Ein plötzliches Schweigen trat ein. Wieso also zeigen sich jetzt so viele Männer überrascht? Waren sie nie in diesen Räumen? Haben sie nie zugehört? Oder haben sie das Unbehagen vielleicht selbst empfunden?
Das Unbehagen der Männer
Vielleicht ist Unbehagen eine Möglichkeit, diese Räume zu dekonstruieren. Ich habe großes Unbehagen empfunden, als meine Freundinnen mir von ihrem erlebten Missbrauch erzählten. Ich empfinde es dann, wenn ich erlebe, wie ein Mann mich als Komplizen im Geiste wähnt und Zoten reißt. Ich empfinde es dann, wenn ich im Dunkeln hinter einer Frau laufe und merke, dass sie sich umdreht, um zu sehen, wer da hinter ihr läuft. Ich möchte ihr zurufen „Keine Angst!“. Aber ich tue es nicht, denn es ist nur Sprache. Was bedeutet schon diese Sprache, die so oft missbräuchlich benutzt wird? Stattdessen mache ich einen Umweg und biege ab.
Und jetzt, mitten in dieser Diskussion um #metoo, sind die Stimmen der Männer die lautesten, die sich verunsichert geben und sich damit in die Position derer begeben, die Mitleid und Verständnis brauchen. Die erschüttert sind in ihrer natürlichen Rolle und sich unterdrückt fühlen, weil sie das Flirten neu lernen sollen. Und natürlich gibt es sehr viele von denen, die vor allem verharmlosen wollen. Es wird von Sexskandalen gesprochen, in denen der eigentliche Skandal die Aufdeckung der Taten zu sein scheint – nicht der Missbrauch, der Gewalt war, kein Sex, und damit eine Straftat.
Ich möchte diesen Männern sagen: Die Verunsicherung ist richtig. Ja! Wehrt sie nicht ab. Spürt dieses Unbehagen! Spürt das Gefühl, dass es hier tatsächlich ausnahmsweise nicht darum geht, wie ihr euch fühlt! Spürt dem mal nach. Haltet das mal aus. Dieses Unbehagen mag für viele von euch neu sein. Es mag sich ungerecht anfühlen. Das ist der Punkt, an dem ihr anfangen könnt zuzuhören, anstatt zu klagen, es ginge um eure Freiheit. Denn erst wenn ihr endlich zuhört, versteht ihr vielleicht auch.
Titelbild: depositphotos.com
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